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RE: Fröhliche Weihnachten!

in Prosa 17.12.2010 07:23
von Paolo (gelöscht)
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Fröhliche Weihnachten!

I

Die Kinder rannten auf der Straße umher, froh, dass sich niemand um sie kümmerte. Ihre Väter hatten genug damit zu tun, die Wirklichkeit im Alkohol zu ertränken, ihre Mütter versuchten etwas weihnachtlichen Glanz in die Hütten zu bringen.
Dann tauchte plötzlich Manolo auf, erzählte von einem Weihnachtsbaum, den er und Quique im Park unter einer Straßenlaterne aufgebaut hätten.
Es wurde langsam dunkel. Die Horde jagte unter Johlen und Begeisterungsrufen zum Park.
Vor dem Baum wurde einer nach dem anderen still und bestaunte das Wunder. Sogar die Tauben, die hier sonst immer wild flatterten, blieben ruhig am Boden sitzen.
Stolz erklärten die beiden Künstler ihr Werk. Eine Kiefer hatten sie aus dem Wald geholt und an eine Straßenlaterne angebunden. Blechdosen hatten sie blank geputzt und an die Äste gehängt. Sterne und Engel hatten sie aus Verpackungsfolien gefaltet und damit den Baum geschmückt. Manolo hatte sogar die Jungfrau auf Papier gemalt und dann ausgeschnitten. Sie schaute jetzt von der Spitze des Baumes herab.
Alle bestaunten das Wunder, auch Erwachsene waren gekommen. Sie hatten sich über die plötzliche Stille auf der Straße gewundert.


II

“… und dann machte sich ein Schweinchen ein Haus aus Stroh, damit der Wolf es nicht fressen konnte. Aber der kam und fing an zu blasen und alles flog auseinander. Aber das Schweinchen konnte noch wegrennen.
Mit seinem Bruder bauten sie dann ein Haus aus Holz, aber auch das blies der Wolf um. Die beiden konnten aber ausreißen. Nachdem sie sich eine Weile versteckt hatten, holten sie noch einen Bruder dazu.
Dieses Mal bauten sie zusammen ein Haus aus Backsteinen. Der Wolf blies wieder, ganz rot war er schon im Gesicht, aber das Haus hielt und die Schweinchen waren glücklich.”
«Papa, hat der Wolf unser Haus auf dem Hügel auch weggeblasen?»
Er sah seinen Sohn an, so jung und schon ein altes Gesicht, schüttelte nur den Kopf.
«Und jetzt wird geschlafen. Morgen erzähle ich eine andere Geschichte.
Er nahm seine Frau in den Arm und sagte:
“Armer Kleiner. Ich glaube, dass er die Schweinchen und den Wolf gesehen hat, wie der sich angestrengt hat, das Haus umzublasen.
Weisst du, diese Geschichte hat mir meine Mutter vor langer Zeit erzählt, ich bin froh, dass ich mich noch an den Schluss erinnern konnte.
Arbeit habe ich heute wieder keine gefunden.
Gehen wir auch schlafen Frau, ich bin ein bisschen müde, Weihnachten mit Geschenken gibt es für uns nicht.”
Er gab ihr einen Kuss. Eng lagen sie aneinader gedrängt unter der löchrigen Wolldecke, um sich vor der Kälte zu schützen.
Froh konnten sie sein, dass sie überhaupt ein Dach über dem Kopf hatten, dachte er. Auch wenn hier alles feucht und eng war. Vorher hatten sie auf dem Hügel gewohnt. Eines Morgens kamen Bulldozer, alles wurde niedergewalzt, auch ihre Hütte.
Da hatten die Windeln von Tonio auf dem Holzzaun gehangen, hatten im Wind geflattert wie Fahnen.
Sie hatten von einem bisschen Glück geträumt.
Ein Park war entstanden, Paare gingen da jetzt spazieren, Kinder fuhren mit Fahrrädern umher. Die Stadt brauche einen schönen Park, wurde gesagt.


III

Der betrunkene Parkwächter versuchte gerade zu gehen und sicher aufzutreten. Trotz der ausgebeulten Jogginghose konnte man sehen, dass seine dünnen Beine nach Innen gebogen waren. Ein alter, glatzköpfiger Mann mit buschigen Augenbrauen, eingefallenen Wangen und gebbraunen Zahnstummeln, die nur zum Teil von dem gewaltigen, braunen Schnauzer verdeckt wurden.
«Verschwindet aus dem Park», brüllte er Kinder und Erwachsene an.
Niemand rührte sich. Niemand konnte ihnen verbieten hier um den Weihnachtsbaum herumzustehen. In der Natur waren Verbotsschilder nicht vorgesehen.
Der Wächter schaute verächtlich auf den Baum. Sein Revolver am Gürtel gab ihm Macht.
«Schafft sofort diesen Müll hier weg!»
Manolo hob einen Stein auf. Niemand hatte das Recht, sein Werk Müll zu nennen. Niemand konnte ihm, Quique, den Kindern und Eltern verbieten, einen Weihnachtsbaum zu haben.
Sein Gesicht versteinerte. Er sah plötzlich älter, faltiger und hagerer aus. Einen Moment hatte er das Gefühl gehabt, nahe bei den Sternen zu sein.
Quique stand neben ihm, stand einfach nur da, wollte etwas sagen, aber dann fiel ihm nichts ein. Er schüttelte nur immer wieder den Kopf, fassungslos.

Jemand holte andere Eltern, die auf die Rückkehr ihrer Kinder gewartet hatten.
Der Kreis um den Baum wurde immer größer, niemand bewegte sich, niemand sagte ein Wort.
Der Wächter sah in die finsteren Gesichter, trat einen Schritt zurück und zog seine Waffe.
« Zum letzten Mal sage ich: Haut hier alle ab, nehmt diese Schweinerei mit, verzieht euch. Ich werde sonst Verstärkung anfordern ! »
Manolo hielt noch immer den Stein in seiner Faust.

IV

Antonio Muñoz konnte nicht einschlafen, obwohl es auf der Straße ruhig geworden war.
Bilder gingen ihm durch den Kopf:
Sein kleiner Sohn Tonio, wie er barfuß durch den Schlamm lief und mit den Hühnern der Nachbarin spielte, sich die laufende Nase mit dem Ärmel seiner Jacke abwischte.
Seine Frau, wie sie Wäsche wusch, sie immer wieder auswrang, dabei traurige Lieder sang. Die arbeiten musste, mit ihren geschwollenen Gelenken, der von der Lauge rissigen Haut.
Die Umgebung, wo sie jetzt hausten, alles voller Müll, Dreck und Gestank.
Herrenlose Hunde, die herumstreunten.
Betrunkene auf der staubigen Strasse.
Die alten Augen seines Sohnes.

Plötzlich hörte er einen Schuss. Er sprang aus dem Bett und nahm den Revolver aus dem Versteck unter der Matratze.
Anziehen musste er sich nicht, war wegen der Kälte in seinen Kleidern ins Bett gegangen.
Noch einmal schaute er seine Frau an, gab ihr einen sanften Kuss; um sie nicht zu wecken.
Es war wie ein Abschied.
Er lief aus dem Haus in Richtung Park. Müdigkeit war in jeden Winkel seines Körpers gekrochen, aber die Wut trieb ihn vorwärts. Den geladenen Revolver hielt er in der Hand.
Es war einer dieser Augenblicke, in denen man etwas tun, aber auch alles bleiben lassen konnte, dachte er.

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