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So ein Glück!
(nach einer Idee von Dietrich Schnurre)
„Jetzt kommt da eine Frau vorbei, eine jüngere Frau, sieht gut aus, wäre was für uns, wenn wir nicht hier liegen müssten“.
„Was hat sie an?“
„Einen kurzen Rock und eine weiße Bluse. Hochhackige Schuhe trägt sie auch“.
„Wie sehen die Beine aus?“
„Prima Beine, lang sind sie.“
„Und die Haare?“
„Schwarze Haare, lange schwarze Haare.“
„Ist sie allein?“
„Nein, ein Mann geht neben ihr vielleicht ihr Freund.“
„Sag mal, Wanitzki, können wir nicht endlich einmal die Plätze tauschen? Mein Bett sollte auch mal am Fenster stehen. Wir wechseln täglich ab.“
„Kommt nicht in Frage, ich liege schon drei Wochen länger hier als du. Du brauchst nicht immer wieder zu fragen, diesen Platz behalte ich. Außerdem beschreibe ich dir ja immer alles genau, was sich draußen abspielt.“
Dieser Wanitzki! Beide liegen wir seit Wochen hier in diesem Zimmer, können nicht aufstehen, nicht einmal aufs Klo gehen. Wir müssen in Pfannen scheißen!
Besuch kommt auch nie, ich kann nur die Decke anglotzen.
Aber Wanitzki liegt in seinem Bett am Fenster, kann sehen, was da auf der Straße abläuft, kann das Leben sehen.
Manchmal schläft er auch am Tag, berichtet dann nichts.
Er will nicht einmal für kurze Zeit seinen Platz wechseln, unfair, egoistisch ist er.
Geld habe ich ihm schon angeboten, aber der lässt sich auf nichts ein.
Manchmal wünsche ich, er würde verrecken, dann hätte ich endlich seinen Platz.
Eigentlich ist er ein Scheißkerl. Gestern habe ich ihn erwischt, er beschreibt nicht immer genau, was er sieht, erzählt nicht alles, ich muss oft nachfragen.
Da hat er wieder mal gesagt, dass eine junge, schöne Frau vorbeigeht, aber ihre Freundin oder Schwester hätte er fast unterschlagen. Die war noch viel schöner! Die wollte er für sich alleine behalten, nicht mit mir teilen! Dieser Mistkerl!
Der kann nicht anständig beschreiben, was er sieht. Immer wieder muss ich nachfragen, ihm die Würmer aus der Nase ziehen.
Abend ist es geworden, jetzt passiert nichts mehr draußen.
Die Schwester ist noch mal vorbei gekommen, hat uns Tabletten gegeben, damit wir besser schlafen können.
Wanitzki erhält immer noch andere, die sollen seinen Schleim lösen. Er keucht öfter so merkwürdig. Geschieht ihm recht, dem Schweinehund.
Mitten in der Nacht wache ich auf, Wanitzki röchelt fürchterlich. Ich mache das Licht an.
Merkwürdig sieht er aus, sein Gesicht ist ganz rot, er fuchtelt mit seinen Händen herum, seine Augen fallen ihm fast aus dem Kopf, er greift sich an den Hals, wirft sich hin und her oder versucht es mindestens.
Jetzt wird sein Gesicht blau.
Ich sollte auf den Notknopf drücken und die Nachtwache rufen.
Das ist meine einzige Chance, den Fensterplatz zu ergattern.
Ich mache das Licht wieder aus, Wanitzki röchelt immer schwächer, dann höre ich nichts mehr.
Als ich am Morgen aufwache, schieben sie gerade Wanitzki aus dem Zimmer, der braucht jetzt keinen Aussichtsplatz mehr. Wo der hinkommt, ist nichts mehr zu sehen, alles dunkel.
Die Schwester fragt mich, ob ich denn nichts gehört hätte. Tief geschlafen hätte ich, sage ich zu ihr.
Wanitzki sei verschieden, sagt sie.
Ja, den Fensterplatz bekäme ich.
Endlich, denke ich, endlich kann ich etwas anderes als die Decke sehen, endlich kann ich nachholen, was mir so lange Zeit entgangen ist.
Nach dem Frühstück kommt die Schwester mit einem Pfleger. Sie schieben mein Bett ans Fenster.
Ein schöner Tag heute, die Sonne scheint, auf der Straße wird viel los sein.
Ich hebe den Kopf ein wenig, schaue aus dem Fenster und sehe eine Mauer.
Hallo Paolo,
wieder einmal ein tiefsinniges Werk von dir, wenn ich da an "Fliegen" denke, konträre Handlungsabläufe, aber irgendwo doch immer gleiche Themen, Irrungen und Wirrungen rund um Tod und Abschied, anders sein als die Norm - und am Ende hälst du der Welt doch nur einen Spiegel vor, man erkennt, dass man fähig wäre, so ähnlich zu sein.
LG
Harald
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