Augen rollen
Es war zu Ende der sechziger, Beginn der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts. So langsam setzten sich die ersten amerikanischen Einflüsse in Deutschland durch, man hatte die ersten Cafeterias mit Selbstbedienung in den Kaufhäusern etabliert. So auch geschehen in der Universitätsstadt Gießen, günstige Preise und - von Studenten gerne genutzt - die Möglichkeit, Salat in drei verschieden großen Schalen zu schichten. "Profis" schafften locker die doppelte Menge auf einem Tellerchen aufzuschichten, die ein normaler Besucher in die große Schale schaufelte. Eine Frikadelle, Pommes frites und eine Riesenportion Salat für kleines Geld, das alles ließ das Geschäft boomen.
Nun stand ein solcher Student vor mir, ökologisch korrekt natürlich mit einer Papier-Einkaufstüte unterwegs und begann dieses Kunstwerk zu bilden. Da dabei die Tüte irgendwie im Weg war, klemmte er sie unter der Achselhöhle ein. Mir war schon vorher aufgefallen, dass diese Tüte ein wenig feucht war, hatte mir dabei aber nichts gedacht, war ja nur ein kleiner Fleck. Während er nun versuchte. mittels dreier Salatblätter eine Zwischenschicht zu bilden um noch eine weitere Schicht Krautsalat und einiges mehr aufzuschichten begann die Tüte zu rutschen. Da er als einzige Möglichkeit, dies zu stoppen, ein festeres Einklemmen sah war wohl der Druck auf den Inhalt der Tasche zu groß geworden. Auf jeden Fall bildete sich plötzlich ein großer Wasserfleck, auch einige, wie Tanzschritte anmutende Bewegungen des Trägers halfen nichts mehr - die Tüte riss auf!
Etwas klatschte zu Boden, Flüssigkeit spritzte nach allen Seiten, als sich eine Plastiktüte öffnete und dann rollten drei Kuhaugen über den Boden. Der angehende Veterinär stand da wie vom Donner gerührt, kreidebleich, zu keiner Reaktion mehr fähig. Eine an einem Tischchen sitzende Frau schrie auf: »Agathe, das Auge schaut mich an, ich glaube, gleich muss ich mich übergeben.« Einige Gäste schoben demonstrativ ihre Teller von sich weg, teilweise gesunde Gesichtsfarben wechselten in ein ungesundes Grau, das Chaos war vorprogrammiert.
Ich nahm dem verdatterten Studenten den Salat aus der Hand und raunte ihm ins Ohr:
»Augen in die Reste der Plastiktüte und weg!«
Er schoss los, klaubte die Augen in das Plastik und verschwand blitzartig.
So kam ich zu einer Riesenportion Salat für kleines Geld, die Aufregung legte sich schnell, Spuren wurden beseitigt und aufgebrachte Gäste beruhigt. Auf die Frage, ob ich den Verursacher kenne musste ich dem Geschäftsführer wahrheitsgemäß sagen, dass er mir völlig unbekannt war.
Drei Wochen später besuchte der in München studierende Lehrerssohn mit einem Kommilitonen unser Dorf und fragte bei mir an, ob ich die beiden in die Studentenkneipe "Haarlem" in Gießen fahren könne. Zusagen und hinfahren war eines und während wir uns dort noch orientierten trat jemand auf mich zu, der Unglücksrabe!
»Hallo du, sauber, gut, dass du so reagiert hast, es hat niemand herausgefunden, dass ich der Übeltäter war. Trinkst du einen mit?«
»Nee, muss noch fahren!«
»OK, ich lasse eine Weinflasche für dich zurücklegen, wenn ihr fahrt, dann hol sie dir ab!«
»Danke, aber noch eine Frage, ich habe einige Spritzer abbekommen, worin waren denn die Augen eingelegt?«
»Salzwasser, nur Salzwasser.«